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Information
für Kassen-Patienten
Wann Sie zu
einem Vertragspsychotherapeuten gehen sollten
Psychische
Störungen oder psychische Probleme, die einer Behandlung
bedürfen, sind häufiger, als man gemeinhin denkt.
Wissenschaftliche Untersuchungen haben ergeben, daß ca. ein
Viertel der Normalbevölkerung in Deutschland unter
psychischen Störungen leidet, die Krankheitswert haben, und
daß über zweidrittel der Patienten in der hausärztlichen
Praxis ebenfalls diagnostizierbare psychische Störungen
aufweisen (Schepank 1994, Tress et al. 1997, zit. n. Keller
u. Rudolf 1997).
Zu diesen Störungen gehören neurotische Beeinträchtigungen
(z.B. Ängste, neurotische Depressionen, Zwänge, neurotische
Beziehungs- und Kontaktstörungen, Selbstwertprobleme),
psychosomatische und psychisch mitbedingte Krankheiten
(z.B. sexuelle Störungen, Eßstörungen, Magengeschwüre,
Bronchialasthma, psychogene Kopfschmerzen, Herzneurosen)
oder auch schwerere seelische Störungen (z.B. Süchte,
soziale Auffälligkeiten oder Psychosen). An sich sollte der
Hausarzt in der Lage sein, zu erkennen, wann er einem
Patienten selber helfen kann, wann er ihn zum Psychiater
überweisen sollte und wann er ihn stattdessen zum
Psychotherapeuten zur alleinigen oder zur Mitbehandlung
schicken sollte. Leider wissen aber auch viele Hausärzte
noch immer zu wenig über psychotherapeutische Möglichkeiten
oder vertrauen zu sehr und zu lange auf die Möglichkeiten
von Psychopharmaka, die von der Pharmaindustrie und einigen
- von der Pharmaindustrie gesponserten - Ärztezeitungen
angepriesen werden, so daß viele psychotherapiebedürftige
Patienten oft erst nach zahllosen, aber letztlich unnützen
Medikamenten-Behandlungen und jahrelangen Ärzte-Odysseen
endlich beim Psychotherapeuten landen. Da auch heute immer
noch durchschnittlich 7-9 Jahre vergehen, bis die Bedeutung
psychosozialer Zusammenhänge für das jeweilige
Krankheitsbild erkannt wird, ist aber bereits viel kostbare
Zeit verstrichen und so kommen viele Patienten
chronifiziert und damit vielleicht zu spät zum
Psychotherapeuten (Meyer et al. 1991, zit. n. Keller u.
Rudolf 1997).
Warum Sie zu
einem Vertragspsychotherapeuten gehen sollten
Vertrags- oder
Richtlinien-Psychotherapeuten sind Ärzte, Psychologische
Psychotherapeuten oder Kinder- und
Jugendlichenpsychotherapeuten, die nach ihrem
Hochschulstudium eine wissenschaftlich und sozialrechtlich
anerkannte Psychotherapieausbildung nachgewiesen haben. Nur
so erhalten Vertragspsychotherapeuten ihre Kassenzulassung,
die ihnen erlaubt, nach den geltenden
Psychotherapie-Richtlinien zu Lasten der Gesetzlichen
Krankenversicherung zu behandeln.
Dies ist zu unterscheiden von der - nunmehr im
Psychotherapeutengesetz geforderten - Approbation, die
Psychologischen Psychotherapeuten und Kinder- und
Jugendlichenpsychotherapeuten die Berufsausübung erlaubt,
nicht jedoch automatisch eine (sozialrechtliche)
Kassenzulassung beinhaltet, da die Approbation nicht auf
einer Ausbildung in Verfahren beruhen muß, die auch vom
Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen anerkannt sind.
Ein approbierter Psychotherapeut kann also auch in
psychotherapeutischen Verfahren ausgebildet sein, die zwar
wissenschaftlich anerkannt sind, aber von den Krankenkassen
trotzdem nicht bezahlt werden. Wer allerdings ab 1.1.1999
weder approbierter Psychologischer Psychotherapeut oder
Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut noch ärztlicher
Psychotherapeut ist, darf sich ab diesem Zeitpunkt nicht
mehr Psychotherapeut nennen.
Bei Vertragspsychotherapeuten steht Ihnen also eine
psychotherapeutische Behandlung zu, die zu Lasten ihrer
Krankenkasse geht, wenn Psychotherapie indiziert ist.
Kassenanerkannte Verfahren sind psychoanalytische,
tiefenpsychologisch fundierte und verhaltenstherapeutische
Therapieformen. Das Spektrum reicht dabei von Einzel- bis
Gruppentherapie, von Kurzzeittherapie mit ca. einer
Wochenstunde über mittelfristige Therapieformen mit 1-2
Wochenstunden bis zur hochfrequenten Langzeittherapie mit
3-4 Wochenstunden. Die Dauer variiert daher von insgesamt
nur wenigen Stunden bis zur maximalen Kassenleistung von
300 Stunden über 2-3 Jahre.
Die Therapieform, die Ihnen ein Vertragspsychotherapeut
vorschlägt, hängt einerseits von Art, Umfang und Schwere
Ihrer Problematik ab, andererseits aber auch von der
jeweiligen psychotherapeutischen Ausbildung des
Therapeuten. Trotzdem wird ein psychoanalytischer Therapeut
Ihnen keine analytische Behandlung anbieten, wenn
eigentlich eine verhaltenstherapeutische Behandlung
indiziert ist - und umgekehrt. Er wird Ihnen aufgrund
seines Eindrucks im ersten oder zweiten Gespräch einen
entsprechend ausgebildeten Kollegen empfehlen. Eine solche
Empfehlung für eine bestimmte Therapieform (Indikation)
kann Ihnen ein ausgebildeter Vertrags- oder
Richtlinien-Psychotherapeut in der Regel aufgrund seiner
Erfahrung begründeter und fundierter geben, als z.B. ein
nicht-psychotherapeutisch vorgebildeter Arzt oder Berater.
Auch ob statt einer psychotherapeutischen eher eine
medikamentöse Behandlung bei einem Psychiater angezeigt
ist, kann der Psychotherapeut Ihnen ebenfalls sagen.
Wie Sie einen
Vertragspsychotherapeuten finden
Die Adressen der
in Ihrer Nähe niedergelassenen Vertragspsychotherapeuten
bekommen sie von der regionalen Kassenärztlichen
Vereinigung (KV) oder von Ihrer Krankenkasse. In einigen
Städten gibt es auch psychotherapeutische Ambulanzen, die
Ihnen bei der Suche nach einem freien und passenden
Therapieplatz helfen. Die Beratungen dort werden nach
Vorlage Ihrer Kassen-Chipkarte durch Vertrags- oder
Richtlinienpsychotherapeuten durchgeführt. (Vorsicht bei
Beratungen, die Sie bezahlen sollen oder deren Kosten Sie
vorstrecken müssen!). ...
Um einen Vertragspsychotherapeuten aufzusuchen, brauchen
Sie keine vorherige Konsultation bei einem Arzt und auch
keine Überweisung. Wenn sie keinen Therapeuten kennen und
auch keine qualifizierte Empfehlung haben, suchen Sie sich
einfach einen aus den o.g. Listen aus. Obwohl Sie hier oft
zwischen ärztlichen und psychologischen Psychotherapeuten
wählen können, ist es für sie in der Regel zunächst nicht
so wichtig, welchen Vorberuf ihr Behandler hat. (Nur der
Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeut, der keine
Erwachsenen behandeln darf, bildet hier eine Ausnahme.)
Auch ob dieser Behandler in Ihrem Fall am Besten ein
Facharzt für Psychotherapeutische Medizin, ein Arzt mit
Zusatztitel "Psychoanalyse" oder "Psychotherapie", ein
Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, ein
psychologischer Psychoanalytiker oder auch ein
psychologischer Verhaltenstherapeut sein sollte, können Sie
selbst ohne vorherige Fachberatung normalerweise weder
beurteilen noch vorher wissen.
Rufen sie am besten kurz vor der vollen Stunde oder zu
einer auf dem Anrufbeantworter angegebenen Zeit an. Je nach
Versorgungsdichte müssen Sie evtl. bei mehr als einem
Vertragspsychotherapeuten anrufen, bevor Ihnen ein
Erstgespräch angeboten wird. In unterversorgten Gebieten -
d.h. auf dem Land, in Kleinstädten und in den neuen
Bundesländern - kann es vorkommen, daß Sie nach den
Erstgesprächen mehrere Monate auf einen festen
Therapieplatz warten müssen.
(Dr. F.R. Deister, bvvp)
Quellen:
- Keller, W., Westhoff, G., Dilg, R., Rohner, R., Stundt,
H.H. et al.: Langzeitstudien zeigen Langzeitwirkung:
Ergebnisse einer empirischen Untersuchung zu Effektivität
der (jungianischen) Psychoanalyse und Psychotherapie - eine
katamnestische Studie. Vortrag Workshop zur
Qualitätssicherung mit dem VdAK Siegburg 1997
- Meyer, A.E., Richter, Grawe, K.: Forschungsgutachten zu
Fragen eines Psychotherapeutengesetzes. Uni-Krankenhaus
Hamburg-Eppendorf 1997
- Schepank, H.: Der Beeinträchtigungsschwere-score (BSS)
für psychogene Erkrankungen. Weinheim 1994
- Tress, W., Kruse, J., Heckrath, C., Schmitz, N.,
Alberti., L.: Psychogene Erkrankungen in den hausärztlichen
Praxen. Zsch. psychosom. Med. 43, 211-233, 1997